Die Kleine Theater-AG brilliert
mit dem „Gespenst von Canterville“
Schaurig schönes Stück von einem alten Fluch
18. April 2024
Eigentlich hatte Schlossgespenst Sir Simon es sich in den
vergangenen 300 Jahren gemütlich gemacht auf Schloss
Canterville. Erfolgreich hatte er schon so manchen
Schlossbewohner, Bediensteten und Besucher des alten
Gemäuers das Fürchten gelehrt. Doch dann kreuzt eine Familie
im schottischen Schloss auf, die Sir Simons Spuken nicht
beeindruckt, sondern die ihn das Fürchten lehrt.
Botschafterfamilie Otis aus Amerika, die dem Geist den letzten
Nerv raubt, stellt das Leben auf Schloss Canterville auf den Kopf.
„Verkehrte Welt“, könnte man meinen. Dabei ist ansonsten vieles
wie in anderen Familie: Die Kinder spielen Streiche, die
Geschwister ärgern einander, der pubertierende Sohn der
Familie nimmt eine permanente Verweigerungshaltung ein,
Generationenkonflikte schwelen überall.
Für so manche Lacher beim Publikum sorgt das zänkische
Gespann aus Haushälterin Mrs. Umney und Butler (Mr.) Parker.
Denn matronenhaft und mit einem Hang zum Kontrollzwang
versucht die Hausdame die Zügel in der Hand zu behalten und
den neu eingestellten Butler, der mit einer gehörigen Portion
Hochnäsigkeit daherkommt, immer wieder in die Schranken zu
weisen. Darüber entsteht eine heitere Konstellation, die sich mit
absurden Scharmützeln und Kompetenzgerangel wie ein roter
Faden durch das Stück zieht und für eine ausgelassene
Stimmung unter den Theaterbesuchern sorgt. Auch der
übermotivierte Polizeiinspektor, der unentwegt versucht, sich
kriminalistisch zu profilieren, und dabei häufig über das Ziel
hinaus schießt, amüsiert die Zuschauer. Die (heimlichen) Stars
des Stücks sind aber die furchtbar frechen und doch
liebenswerten Zwillinge der Familie, Jenny und Johnny. Sie
spielen nicht nur einander und den anderen Familienmitgliedern
Streiche, sie verüben mit Spuckrohr und Co. auch kleinere
Anschläge auf den – mittlerweile entnervten – Sir Simon. Mit
ihren frechen Kommentaren und schlagfertigem Kontern gegen
die Erziehungsmaßnahmen der Erwachsenen erobern sie das
Herz der Theaterbesucher im Sturm. Auch die Ahnen verspotten
Sir Simon, der nun in seinem eigenen Spukschloss nicht mehr
Herr der Lage ist. Schließlich ist es Virginia, die älteste Tochter
der Familie, die sich Sir Simon und seines Fluches annimmt und
der es gelingt, ihn durch ihr Eingreifen zu erlösen. Und so „wird
es im Schlosse wieder still, und endlich herrscht Friede auf
Canterville“.
Die Erzählung des irischen Schriftstellers Oscar Wilde aus dem
Jahr 1897 wurde von Matthias Weißert bearbeitet und bietet so –
umgestaltet für das Schultheater – mit einer gelungenen
Mischung aus Witz und ein wenig Grusel gute Unterhaltung für
Jung und Alt. Da die angestammte Spielstätte des Rhein-
Gymnasiums, der Ganztagsbereich des Untergeschosses der
Schule, nach der Flut noch nicht nutzbar ist, gibt die Kleine
Theater-AG – wie schon im letzten Jahr – auch jetzt ihre
Inszenierung wieder im historischen Zirkuszelt auf dem Schulhof
des Gymnasiums zum Besten. Mit atmosphärischer Musik, die
mal gruselig, mal friedvoll die Szenen unterstützt, gestaltet das
Technik-Team der AG mit schaurigen Gewitter-Sequenzen und
Kettenrasseln die Inszenierung des Oscar Wilde-Klassikers
subtil, aber entscheidend mit. Ebenso kreieren Lichteffekte
schaurige Momente, wenn etwa durch ein rot-blaues Farbenmeer
die unheimliche Stimmung einer Mordnacht des 17. Jahrhunderts
stilisiert wird. Insgesamt beweist die Technik mit vielen
Spezialeffekten wie Nebenschwaden und einer aufklappbaren
Falltür wieder viel Raffinesse und lässt den Zuschauer durch
zahlreiche Griffe in die Trickkiste des Bühnenbaus vergessen,
dass er in einem Schultheater sitzt. Besonderes Highlight: Die
sprechende Ahnengalerie, deren Bilder „wie von Geisterhand“
zum Leben erweckt werden und in den Dialog mit Sir Simon
treten. Auch dem Team um Garderobe, Maske und Requisite
gelingt eine authentische Aufmachung: Sowohl mit ihrer
Interpretation des 70er-Jahre-Looks mit Slippern, ACDC-Shirt
und pinkem Aerobic-Dress als auch beim ehrwürdigen Auftreten
der schottischen Adelsfamilie des 17. Jahrhunderts und
dazugehöriger Ausstattung setzt das kreative Team die
Schauspieler perfekt in Szene.
Und so führt das Ensemble, das vom Fünftklässler bis zum
Abiturienten reicht, erneut mit viel Humor und einer Portion
Spannung durch eine ehrwürdige Erzählung. Dabei bleibt sich die
Theatertruppe rund um AG-Leiter Marc Steuer treu, indem sie
sich an Klassiker der Literatur traut, ihnen aber durch ihre
Kreativität und ihren Einfallsreichtum ihren eigenen Charakter
verleiht. Längst besteht unter Theater-Fans der Region Einigkeit:
Mit ihrer fachmännischen Arbeit, vor und hinter der Bühne, steht
– auch bei dieser Inszenierung – die Kleine Theater-AG den
professionellen Kinder- und Jugendtheatern in Nichts nach.